In Ägypten riefen Mitarbeitende von SOS-Kinderdorf die Initiative «Entwicklung durch Kunst» ins Leben, um Kindern und Jugendlichen Kunst als Mittel zur Selbstentfaltung und Kommunikation näherzubringen.
An der Harakat-Künstlergruppe für darstellende und bildende Kunst in Kairo nehmen inzwischen 150 Kinder und Jugendliche teil. «Als wir das Programm 2010 starteten, wollten wir vor allem die Verhaltensprobleme der Kinder durch Kunst angehen», erklärt Manal Badr, Familien-Koordinatorin bei SOS-Kinderdorf. «Am Anfang haben wir Theater und Chormusik angeboten. In der Folge stellten wir nicht nur fest, dass das Programm den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen hilft, sondern auch, wie talentiert sie sind. Wir beschlossen, das Programm mit weiteren Aktivitäten wie Tanzen, Pantomime und Malen zu ergänzen.»
Kunst gibt Kindern Selbstvertrauen, Ausdrucksvermögen und Kreativität
Ihre Entfaltung auf der Bühne sorgte auch dafür, dass die Kinder deutlich an Selbstbewusstsein gewannen. Zudem waren sie viel eher in der Lage, Probleme zu lösen und ihre eigene Meinung und ihre Bedürfnisse zu kommunizieren. Im Rahmen des Programms werden sie immer wieder ermutigt, ihre Probleme auszudrücken und die sozialen Fragen, die sie bewegen, zu formulieren. Unter der Anleitung des SOS-Psychologen verbesserten sich bei einigen Kindern schwere Sprachstörungen, und die Bindung zu ihren Eltern wurde gestärkt.
«Ich bin immer wieder begeistert von den Kindern, wenn sie trainieren oder auf der Bühne stehen, und erstaunt über ihre aussergewöhnliche Kreativität, erklärt Adel Nasr, ein professioneller Choreograf der Harakat-Künstlergruppe. Durch die künstlerischen Aktivitäten konnten 80 Prozent der teilnehmenden Kinder ihre schulischen Leistungen verbessern. Alle an dem Programm teilnehmenden Kinder, die die Sekundarstufe abgeschlossen haben, wurden zum Studium zugelassen.
Durch die Teilnahme gewinnen die Kinder und Jugendlichen auch Selbstbewusstsein.
Jedes Jahr präsentieren die Kinder das Ergebnis ihres künstlerischen Schaffens und Trainings im renommierten Opernhaus von Kairo – für alle Beteiligten ein echter Höhepunkt. Auch wenn 400 Menschen die Aufführung besuchen, sind in den Augen der Kinder ihre Familie und Freunde der wichtigste Teil des Publikums. «Am Tag nach meinem Auftritt im Opernhaus brachten mir meine Kollegen einen Kuchen und Geschenke, weil ihnen mein Auftritt gefallen hat. Der Geschäftsführer des Unternehmens, in dem ich arbeite, hat mir außerdem versprochen, mir einen Job im Finanzwesen anzubieten, wenn ich mein Studium beendet habe», sagte Abdallah*, ein jugendliches Mitglied von Harakat.
Das SOS-Familienstärkungsteam in Ägypten arbeitet mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Institutionen zusammen, um Familien zu stärken und zu verhindern, dass die Familieneinheit auseinanderbricht. Seit 2005 hat das Team 360 Familien dabei geholfen, finanziell unabhängig zu werden. Das Team bietet Schulungen für Mütter an, um ihre Erziehungsfähigkeiten und ihre Autonomie zu verbessern. Auch die Kinder profitieren von den verschiedenen angebotenen Aktivitäten, darunter psychologische Beratungsgespräche und Entwicklungsprogramme durch Kunst. Darüber hinaus haben 941 Kinder im Jahr 2017 dank verschiedener akademischer Unterstützungs- und Schulungsmaßnahmen ihr Schuljahr erfolgreich abgeschlossen.
Doaa: Erst Teilnehmerin, dann Trainerin in der Künstlergruppe
Eine der ehemaligen Teilnehmenden ist die 22-jährige Doaa: «Vor acht Jahren war ich nicht in der Lage, Teile des Alphabets auszusprechen, viele konnten mich kaum verstehen, wenn ich sprach. Der Theaterunterricht in der Harakat-Künstlergruppe hat mir geholfen, mein Sprachproblem zu beheben. Ich glaube, dass Kunst den Menschen allgemein eine neue Lebensperspektive gibt, sie selbstbewusster macht und sie befähigt, ihre Meinung ehrlich und respektvoll zu äussern.»
Doaa unterstützt die Gruppe heute als Trainerin.
Doaa ist seit der Gründung der Künstlergruppe Harakat im Jahr 2010 dabei, damals als Teilnehmerin, heute als Theater-, Zeichen- und Tanztrainerin für Kinder und Jugendliche. Darüber hinaus ist sie Sozialarbeiterin und betreut Familien im Rahmen des Familienstärkungsprogramms von SOS-Kinderdorf Ägypten: «Die Kinder, die ich trainiere, erinnern mich an mich selbst. Sie haben alle Probleme mit ihren Familien, kommen aus einem schwierigen Umfeld, in dem Kunst nicht geschätzt und gefördert wird. Ich versuche, sie so gut wie möglich zu ermutigen und besuche ihre Familien, um sie davon zu überzeugen, dass ihre Kinder von der Teilnahme am Programm profitieren.»