Mit dem Dorf im Herzen

27.10.2025 Betreuung & Schutz

Bei SOS-Kinderdorf wollen wir vor allem, dass Kinder gar nicht erst in ein Kinderdorf kommen müssen. Wo immer möglich sollen sie in der eigenen Familie in Sicherheit aufwachsen können. Wenn die Aufnahme in einem SOS-Kinderdorf notwendig wird, soll der Kontakt zum ursprünglichen Umfeld erhalten bleiben. Im äthiopischen Harrar ging eine SOS-Mutter mit ihren Schützlingen einen Schritt weiter und zog mit ihnen zurück in die Gemeinde.

Die 55-jährige Meaza hat bereits viele Kinder im SOS-Kinderdorf in Harrar grossgezogen. Sie selbst wuchs in der Stadt im Osten Äthiopiens auf und kennt daher nicht nur das Kinderdorf, sondern auch die umliegende Stadt sehr gut. Als sie vor einem Jahr mit Sebontu, 16, Besufekad, 14, Muaz und Girum, beide 13, Milkesa, 10, und Aser, 4, das SOS-Kinderdorf in Harrar verliess, war sie von gemischten Gefühlen erfüllt. Ihre wohlüberlegte Entscheidung war mit vielen Hoffnungen, aber auch Herausforderungen verbunden. Auf der einen Seite dachte sie an die schützenden Mauern des Dorfes, samt seiner festen und klaren Strukturen. Auf der anderen Seite sah sie die erweiterte Gemeinde rund um das Dorf und all die Möglichkeiten, die ein Leben in Harrar bieten würde. 

Dieses Projekt hilft, folgendes UN-Nachhaltigkeitsziel zu erreichen:

SDG 3: Gesundheit und Wohlergehen

«Ich habe Herausforderungen immer auch als Chance begriffen», erklärt Meaza, während wir in ihrem neuen Zuhause sitzen, das sich schon gar nicht mehr so neu anfühlt. Der Schritt, mit ihren Kindern das geschützte Umfeld des SOS-Kinderdorfs zu verlassen, fiel ihr nicht leicht. Doch sie sah darin die beste Möglichkeit, ihre Kinder auf ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben in der «Welt da draussen» vorzubereiten. Bevor sie die Entscheidung traf, sprach sie intensiv mit ihren Kindern über die Vor- und Nachteile. Die grösste Sorge war, wie sie sich in ihrer neuen Umgebung eingewöhnen würden. Sie erkannte jedoch, dass die Kinder durch den Umzug von mehr sozialen Kontakten profitieren würden: «Sie müssen sich und das SOS-Kinderdorf, einen für die meisten Gleichaltrigen aus der weiteren Gemeinde sehr schwer vorstellbaren Ort, nicht mehr erklären», erzählt uns Meaza. Nachdem die Familie das passende Haus gefunden hatte, begann die intensive Vorbereitungszeit. Der Abschied vom SOS-Kinderdorf war emotional, denn die Gemeinschaft dort war für die Familie stets eine Quelle der Unterstützung und Sicherheit gewesen. Eine bewegende Abschiedszeremonie mit den Mitarbeitenden und anderen Familien im Dorf zeigte, wie sehr Meaza und ihre Kinder dort geschätzt wurden. 

Der Übergang wurde durch das SOS-Kinderdorf in Harrar aktiv begleitet. Auch nach dem Umzug erhalten Meaza und ihre Kinder weiterhin finanzielle und emotionale Unterstützung, um ihnen den Start in das neue Leben zu erleichtern. Mittlerweile engagiert sich die Mutter aktiv in gemeindebasierten Organisationen, um soziale Kontakte zu knüpfen. Girum und Sebontu, zwei der Kinder, erinnern sich gern an das Leben im SOS-Kinderdorf. «Ich vermisse das Labor im Dorf, das uns immer offenstand. Dort konnte ich alles lernen und forschen, was mich gerade interessierte», berichtet Girum. Sebontu hingegen fehlen die vielen Grünflächen, die im Stadtbild nicht so selbstverständlich sind wie innerhalb der Dorfmauern. Doch die beiden sehen auch die Vorteile des neuen Lebens: «Ich habe schon viele neue Freunde kennengelernt, und es macht mich glücklich, zu sehen, dass auch meine Mutter neue Freundschaften schliesst», erzählt Girum lächelnd.

Sebontu geniesst es, ihre Schulfreunde nun jederzeit treffen zu können, ohne lange Wege zurücklegen zu müssen. Beide haben sich gut in die neue Umgebung eingefunden und ihre Hobbys wie Fussball oder Spaziergänge beibehalten. Rückblickend ist Meaza überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. «Früher oder später hätten meine Kinder ohnehin lernen müssen, sich in die Gesellschaft ausserhalb des Dorfes zu integrieren. Nun sind sie bereits auf diesem Weg.» Ihre Hoffnung ist es, dass ihre Kinder in der Schule erfolgreich sind und ein erfülltes Leben führen. Und das SOS-Kinderdorf? Das kann und will die Familie weiterhin besuchen. Es bleibt ein wichtiger Teil ihrer Vergangenheit – und ihrer Zukunft.

Inhaltsverantwortlich:

David Becker

Content Manager

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