In ihrem Gastbeitrag auf unserem Blog erzählt SOS-Kinderdorf Botschafterin Kiki Maeder, wie sie als Jugendliche lernte, dass an exotischen Reisezielen die Armut meist nicht weit entfernt ist.
Mit 16 Jahren waren meine beste Freundin und ich im totalen Indien-Fieber. Wir trugen Bindis, viel indischen Schmuck (vorzugsweise mit Glöckchen dran), Ravi Shankars Sitar-Klänge liefen auf und ab und natürlich roch es in unseren Zimmern intensiv nach Räucherstäbchen. Teenager halt.
Die erste grosse Reise
Mein Vater, der durch sein Transportunternehmen öfter nach Indien reiste, belächelte unseren Spleen. «Indien ist viel mehr als das. Du musst es mal erleben», sagte er mir damals und in den darauffolgenden Sommerferien ermöglichte er mir, dass ich für vier Wochen bei einer indischen Familie in Neu Delhi leben konnte. Es war das erste Mal, dass ich alleine so weit von zu Hause weg war. Ich war überwältigt von dieser Stadt; die vielen Menschen, das organisierte Chaos, die bunten Farben, die Gerüche, die Kühe mitten auf der Strasse… es war faszinierend. Was ich jedoch auch sah, waren die Bilder, die in den Reiseführern und Hochglanzmagazinen selten gezeigt werden: der viele Dreck, Abfall und die grosse Armut dieser Stadt.
Die totale Überforderung
Natürlich fiel ich durch meine Grösse und meine helle Hautfarbe auf. Egal wo ich hinging, es dauerte keine zwei Minuten und ich war von bettelnden Kindern umringt. Noch nie zuvor war ich derart mit der grossen Armut unserer Welt konfrontiert gewesen. Hungrige Kinder, die mich mit ihren grossen Augen anschauten und die Hand nach mir ausstreckten. Einmal spürte ich, wie mich plötzlich etwas am Knie packte. Es war ein Kind ohne Beine, nur der Rumpf auf einem kleinen Untersetzer mit Rollen. Ein Bild, dass mich heute noch begleitet. Diese Situationen überforderten mich total. Natürlich gab ich den Kindern Geld, man musste ihnen doch helfen! Das dies ein Trugschluss ist, darüber klärte mich meine indische Gastfamilie liebevoll auf.
Die harte Wahrheit
Diese Kinder werden meistens von ihren Eltern geschickt, in dem Wissen, dass unschuldige Kinderaugen eine stärkere Wirkung erzielen als bettelnde Erwachsene. Wird diese Annahme bestätig, setzt sich die Abhängigkeit fort. Die Kinder werden weiter zum Betteln geschickt, anstatt eine Schule zu besuchen. Besonders schlimm sind die organisierten Banden, die Kinder kidnappen und sogar bewusst verstümmeln, um so die Wirkung noch zu erhöhen. Und tatsächlich habe ich während meines Aufenthalts erschreckend viele Kinder mit fehlenden Gliedmassen gesehen.
Die Inspiration für mein Engagement
Diese Reise und Erlebnisse haben mich dauerhaft geprägt. Es war der Moment, in dem ich beschloss, dass ich den in Armut lebenden Kinder auf dieser Welt nachhaltig helfen möchte. Mit SOS-Kinderdorf Schweiz habe ich ein Hilfswerk gefunden, das dies nach meinen Vorstellungen, transparent und wirksam umsetzt.
Nicht nur können die Kinder in den SOS-Kinderdörfern in einer liebvollen und sicheren Umgebung aufwachsen. Die Sozialrendite der SOS-Kinderdörfer zeigt auch, dass Eltern und Kinder, die von ihnen unterstützt werden, besser verdienen, und somit auch die lokale Wirtschaft von den Projektinvestitionen vor Ort direkt profitiert. Ebenfalls gefällt mir die flexible und dynamische Arbeitsweise von SOS-Kinderdorf Schweiz. Sie setzen dort an, wo es am dringlichsten ist. So haben sie zum Beispiel Ende 2020 ein Programm in Athen, Saloniki, Kreta und Ioannina lanciert um die zahlreichen Kinder und unbegleiteten Minderjährigen unter den mehr als 120 000 Flüchtlingen in Griechenland zu unterstützen und um sie vor weiteren traumatischen Erlebnissen möglichst zu bewahren.
Die Zukunft
Geld ist zugleich Ursache und Lösung von Armut. Diese wichtige Erkenntnis möchte ich auch meinen Kindern weitergeben. Noch sind sie zu klein, um den Kreislauf zu verstehen, doch mit zunehmendem Alter möchte ich ihnen die Bedeutung und Wirksamkeit von Geld näherbringen. Auch die ungleichmässige Verteilung dessen auf unserer Welt. Vielleicht mit einer Reise nach Indien.