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09.08.2023 Aktuelles Alle Afrika Tigray: Wie Voraussicht Sicherheit brachte

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Niguss Hailu, Programmleiter des SOS-Kinderdorfs in Mekelle, der Hauptstadt der Tigray-Region im Norden Äthiopiens, hatte 2020 angesichts der sich verschlechternden politischen Lage in der Region ein ungutes Gefühl.

Er legte Lebensmittelvorräte an und stattete die Kinder, Jugendlichen und ihre Betreuungspersonen mit dem Wissen aus, was im Falle eines Konflikts zu tun ist. Die Vorbereitung zahlte sich aus. Alle wussten, was zu tun war, als im November 2020 der Bürgerkrieg ausbrach. Nach zwei Jahren intensiver Kämpfe verstummten die Waffen, und alle 121 Kinder, 141 Jugendlichen und ihre 19 Betreuenden, für die Niguss verantwortlich zeichnete, waren in Sicherheit. Heute wissen wir: Bis zu 600.000 Menschen in der Tigray-Region könnten in diesem Krieg ihr Leben verloren haben, und Hunderttausende wurden obdachlos.

In diesem Interview erinnert sich Niguss an die, wie er es nennt, «dunklen Tage», und beschreibt, wie er es geschafft hat, alle inmitten der Unruhen in Sicherheit zu bringen.

Während des Bürgerkriegs hing die Sicherheit so vieler Kinder und Jugendlicher von Ihnen ab. Welche Massnahmen haben Sie ergriffen, um sie zu schützen?

Bevor der Bürgerkrieg ausbrach, wurden alle geschult, was im Falle eines Konflikts zu tun ist. Die Verantwortlichen wurden vorbereitet, dass sie den Kindern beistehen und darauf hinarbeiten müssen, ihr Leben zu retten. Sie lernten, was im Falle eines Luftangriffs zu tun ist. Für die Mütter galt es, in der Konfliktsituation stark zu sein. Die Kinder und Jugendlichen mussten immer zu Hause bleiben, weil es keine anderen sicheren Orte gab. Während des Krieges bin ich von Haus zu Haus gegangen, um mich zu vergewissern, dass die Kinder zu Hause waren. Die Mütter haben ihre Kinder motiviert, und die Jugendlichen und die Mütter haben sich gegenseitig motiviert.

Sie sind Vater von drei kleinen Kindern. Warum haben Sie sich entschieden, im SOS-Kinderdorf zu bleiben, anstatt sich zu Hause um Ihre eigenen Kinder zu kümmern?

Meine Frau war immer auf meiner Seite und ich möchte ihr dafür danken, dass sie meinen Vorschlag, im SOS-Kinderdorf zu bleiben, unterstützt hat.  Das Argument war, dass wir hier viele Kinder in unserer Obhut haben, und dass es unsere Verantwortung ist, für sie zu sorgen.

Am 28. November war ich zu Hause, und in der Stadt gab es häufigen Artilleriebeschuss. Ich küsste meine Kinder und meine Frau zum Abschied. Die Kinder weinten, und meine Frau betete und wünschte mir alles Gute und dass ich auf dem Weg zum SOS-Kinderdorf in Sicherheit sei. Fünf Minuten nachdem ich mein Haus verlassen hatte, verstärkte sich der Beschuss in meiner Nähe, aber ich fuhr sehr schnell und dachte daran, wie ich meine Familie unter Tränen zurückgelassen hatte. Das war ein sehr schwieriger Moment für mich.

Es gab eine Zeit, in der Mekelle von der Aussenwelt abgeschnitten war und es kein Internet, keine Bankgeschäfte, keinen Strom und keine anderen sozialen Dienste gab. Wie haben Sie diese Herausforderung gemeistert?

Während des Krieges hatten wir einen Monat lang einen totalen Stromausfall, und es fühlte sich an, als wären wir 200 Jahre zurückversetzt worden. Nach diesem Monat hatte ich die Möglichkeit, das Rote Kreuz zu kontaktieren, und ich rief den nationalen Direktor an, um ihm zu sagen, dass wir noch am Leben sind. Das war alles. Wir durften keine weiteren Informationen geben. Das war das erste Mal, dass wir das nationale Büro darüber informierten, dass wir noch am Leben waren. Danach gab es einige von den Vereinten Nationen eingerichtete Plattformen, über die wir zwei Stunden pro Woche Zugang zum Internet hatten.

Es war schwierig, ohne Bankdienstleistungen auszukommen; nicht für Tage oder Wochen oder Monate, sondern für fast zwei Jahre. Wir mobilisierten Ressourcen von verschiedenen Partnern und Einzelpersonen. Der Name SOS-Kinderdorf hat uns sehr geholfen, denn wenn wir zu den Partnern gingen, sagten sie: «Wir kennen die Arbeit, die Sie leisten, und alle Ihre Kinder sind unsere Kinder.» Sie gaben uns verschiedene Mittel ohne Sicherheiten: Lebensmittel, Mehl, Weizenkörner und sogar Bargeld. Einige von ihnen gaben uns mehr als eine halbe Million Birr [umgerechnet knapp CHF 8000], ohne irgendwelche Sicherheiten. Nach einiger Zeit eröffnete die UNO die Möglichkeit, Bargeld von Addis Abeba nach Mekelle zu bringen.

Da wir wochen- und monatelang keinen Strom hatten, fällten wir die Bäume in der Umgebung, um Brennholz zum Kochen zu gewinnen. Wir mussten früh um sechs Uhr schlafen, weil es sonst kein Licht gab. Wir haben für jede Herausforderung, die sich uns in dieser Zeit stellte, eine Lösung gefunden.

Die Kinder und Jugendlichen sind fast drei Jahre nicht zur Schule gegangen. Wie haben Sie sie beschäftigt und geistig gesund gehalten?

Das ist eine grosse Herausforderung. Erst seit kurzem gehen sie wieder zur Schule. Zu dieser Zeit nahmen die Kinder und Jugendlichen an verschiedenen Aktivitäten wie Gartenarbeit, Sport, Kunst und anderen kreativen Tätigkeiten teil. Wir organisierten ein Programm, bei dem ältere Geschwister ihre jüngeren Geschwister unterrichteten. Wir haben auch Lehrpersonal eingestellt, um den Unterricht zu Hause zu ermöglichen. Hier gibt es neunjährige Kinder, die noch nie zur Schule gegangen sind.

Sie haben junge Menschen, die in Jugendzentren in der Gemeinde leben. Wie konnten Sie deren Sicherheit und Überleben gewährleisten?

Wir haben 121 Kinder auf dem Gelände des SOS-Kinderdorfs und 141 junge Menschen, die unabhängig voneinander leben, sowie einige andere, die in Jugendhilfeprogrammen in einem Mädchen- und Jungenheim untergebracht sind. Hätten wir sie gebeten, zu dieser Zeit ins Büro zu kommen, hätten wir sie dem Risiko ausgesetzt, dass sie zwangsrekrutiert werden, um sich bewaffneten Gruppen anzuschliessen. Um sie zu erreichen, markierten wir die Autos [zum Schutz vor Angriffen] und gingen von Tür zu Tür, um ihnen manchmal 50 Prozent, manchmal 40 Prozent ihres Lebensunterhalts zu zahlen, je nachdem, wie viel wir uns leisten konnten. Wir rieten ihnen, zu Hause zu bleiben und sich weder nachts noch tagsüber auf die Strasse zu begeben.

Sie wurden immer wieder aufgefordert, sich den bewaffneten Gruppen anzuschliessen, aber wir rieten ihnen immer wieder ab, sich den Kämpfen anzuschliessen. Einer unserer Jugendlichen wurde von den bewaffneten Gruppen entführt, und wir gingen mit seiner Geburtsurkunde und anderen Ausweisen zu ihnen und sagten ihnen, dass er zu jung sei, um in den Krieg zu ziehen. Sie hörten auf uns und liessen ihn frei.

Wie erschweren solch katastrophale Umstände das Leben von Kindern, die ihre Eltern verloren haben?

In Notsituationen haben diese Kinder sehr zu leiden, weil alle in dieser Zeit versuchen, das eigene Leben zu retten. Hier bei SOS-Kinderdorf haben wir Mütter, die sich um Kinder kümmern, die ihre Eltern verloren haben. Aber in der Gemeinde landen Kinder, die von ihren Verwandten getrennt wurden, auf der Strasse. Ich habe miterlebt, wie die Zahl der Strassenkinder in Mekelle zunahm. Diese Kinder sind unterernährt, weil sie nichts zu essen haben, und sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Sie brauchen Unterstützung.

Sie arbeiten mit 19 Betreuerinnen und Betreuern, die ihre eigenen Familien haben. Wie haben Sie sie davon überzeugt, bei Ihnen zu bleiben und mit Ihnen zu arbeiten?

Als Leitung hat man eine Vorbildfunktion, die auch ich wahrgenommen habe. Dazu kommt, dass wir einzigartige Betreuungspersonen haben. Sie haben alle Pflegeleistungen erbracht und ihre Familien zurückgelassen. Sie waren alle hier, und niemand hat um Erlaubnis, Jahresurlaub oder Freizeit gebeten. Die Mütter sind sehr engagiert. Sie haben auch verstanden, dass sie ihr Leben verlieren könnten, wenn sie hierhin und dorthin ziehen würden. Wenn es möglich war, nahmen sie Kontakt zu ihren Verwandten auf und erfuhren so Neuigkeiten über ihre Angehörigen.

Niguss Hailu mit einem Kind aus dem SOS-Kinderdorf in Mekelle.

Niguss Hailu mit einem Kind aus dem SOS-Kinderdorf in Mekelle.

Was sind einige der schwierigsten Momente, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?

Wir haben Kinder mit besonderen Bedürfnissen in unserem Dorf, und diese Kinder brauchen [täglich] Medikamente. Aber in dieser Zeit waren diese überall Mangelware. Eine Klinik riet uns, abgelaufene Medikamente zu verwenden. Es war sogar schwer, diese abgelaufenen Medikamente zu bekommen, auch ausserhalb von Mekelle, aber wir haben sie später gefunden. Aus der Not heraus gaben wir sie unseren Kindern: abgelaufene Medikamente. An solche Momente erinnere ich mich nicht gerne. Nach ein paar Monaten hatten wir dann endlich wieder Zugang zu passenden, noch neueren Medikamenten.

Ein weiterer Vorfall war, als sich der Krieg verschärfte und ein Mitarbeitender mir mitteilte, dass unsere Ressourcen erschöpft seien. Damals war ich sehr schockiert. Denn wir hatten unser Bestes getan, um die Mittel – das Geld und das Mehl – aufzutreiben, und wir hatten keine Möglichkeit, noch mehr zu bekommen. Das war ein sehr erschütterndes Erlebnis.

Eine weitere, sehr persönliche Erfahrung: In diesen dunklen Tagen gab es häufig Luftangriffe, Drohnenangriffe und Artilleriebeschuss auf die Stadt. Meine Frau war mit unseren drei Kindern und anderen Familienmitgliedern zu Hause, und wir erwarteten unser viertes Kind. Ich war hier im SOS-Kinderdorf. Aufgrund von Stress, Trauma und Angst bekam meine Frau gesundheitliche Probleme und verlor das Baby. Das war der traurigste Moment in meinem Leben. Darüber hinaus habe ich in diesem Krieg Verwandte verloren. Einige von ihnen schlossen sich den Kämpfen an, und andere bekamen nicht rechtzeitig die benötigten Medikamente. All das sind Dinge, die ich nie vergessen werde.

Was hat Sie motiviert?

Die Vision und das Ziel der Organisation. SOS-Kinderdorf ist immer da, um das Leben von Kindern und Jugendlichen zu retten und zu schützen, und das motiviert mich sehr. Diese Organisation ist Teil meines Lebens geworden. Hinzu kommt die ganze Ermutigung durch die SOS-Gemeinschaft. Als ich die Mütter kennenlernte, motivierten sie mich immer: «Mach weiter, wir werden sicher sein, mach dir keine Sorgen, diese Zeit wird vorübergehen». Das hat mich weitergebracht. Auch die Anerkennung der Organisation und die Wertschätzung der Arbeit, die wir leisten, durch unsere Partner und die Menschen, die wir um Hilfe gebeten haben, haben mich motiviert.

 

Inhaltsverantwortliche:

David Becker

Wenn ich Content in Wort und Bild erarbeite, begeistert mich das grosse Ganze und berühren mich die feinen Details.

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